Der Bundesrat hat vor einer Woche den Lockerungsfahrplan aus den bisherigen Coronamassnahmen bekannt gegeben. Seit Montag sind Museen, Zoos und nicht zuletzt alle Läden wieder geöffnet; die Gastrobetriebe bleiben jedoch nach wie vor geschlossen. Bevor die Entscheidung an der bundesrätlichen Medienkonferenz verkündet wurde, fanden sich in der Gastrobranche vereinzelte Stimmen, die eine Öffnung für bereits Geimpfte zum Thema machten. Sind Impfprivilegien, wie sie beispielsweise in Israel bereits eingeführt wurden, in der Schweiz denkbar?
Bevor der Bundesrat letzten Mittwoch vor die Medien trat, geisterte das «Wissen» um ein geheimes Aussprachepapier herum, das zeigen sollte, dass die Schweizer Regierung geimpften Personen gewisse Vorteile ermöglichen wolle. An der Medienkonferenz dementierten der Bundesrat sowie André Simonazzi, Vizekanzler und Bundesratssprecher, diese Gerüchte und versicherten, dass keine Privilegien vorgesehen seien.
Heute Abend am 03.03.21 strahlte die «Rundschau» eine Sendung zum Thema Impfprivilegien aus. Ihnen liegt dieses geheime Aussprachepapier vor, aus dem sie gewisse Zeilen in ihrem Beitrag veröffentlicht haben.
Ist mit diesem Statement die Frage rund um allfällige Impfvorteile vom Tisch? Oder kann es – oder wo könnte es am ehesten – in den kommenden Monaten zu einer Entwicklung hin zur Bevorzugung von Geimpften kommen?
Schweizer Impfstrategie – ein Plan in fünf Schritten
Seit dem 4. Januar werden in der Schweiz Impfungen gegen Covid-19 verabreicht. Die Impfstrategie – ausgearbeitet vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF) – sieht vor, dass in einer ersten Phase die Risikogruppen, unterteilt in vier verschiedenen Zielkategorien, geimpft werden sollen. Die vier Zielkategorien sind: 1. Besonders gefährdete Personen (BGP), 2. Gesundheitspersonal mit Patientenkontakt und Betreuungspersonal von BGP, 3. Enge Kontakte von BGP, 4. Erwachsene unter 65 in Gemeinschaftseinrichtungen. Erst nachdem die vier Zielgruppen ihrer hierarchischen Reihenfolge nach geschützt werden konnten, sind im fünften Schritt Erwachsene an der Reihe, die sich ihres individuellen Schutzes wegen impfen lassen möchten.
Bisher wurden durch Swissmedic zwei verschiedene Impfstoffe zugelassen, derjenige von Pfizer/BioNTech und von Moderna. Dem Stoff von AstraZeneca wurde die Zulassung bis jetzt verwehrt.
Ausbremsende Zweifel
Zugelassen haben den AstraZeneca-Impfstoff unter anderem Grossbritannien, die EU wie auch Kanada. Mit grosser Skepsis ihrer Bürger_innen gegenüber dem Impfstoff von AstraZeneca haben Deutschland und Frankreich zu kämpfen. Die Vertrauensprobleme stammen daher, dass dieser Impfstoff, aufgrund von angeblich fehlender Wirksamkeit, nur für unter 65-Jährige zugelassen wurde. Eine neue britische Studie widerlegt die bisherige Vermutung und attestiert dem AstraZeneca-Impfstoff einen guten Schutz auch für ältere Menschen. Frankreich öffnete darauf den Anwendungsbereich nun auch für die über 65-Jährigen. Die Verunsicherung hält jedoch an, sodass in Deutschland Millionen Impfdosen ungenutzt verstauben. Viele Menschen machen einen Rückzieher und nehmen ihre Impftermine nicht wahr, weil sie dem Stoff von AstraZeneca nicht trauen.
Neben den bisher erwähnten Impfstoffen, hat der Bund weitere Dosen bei Curevax und Novavax bestellt. Sobald Swissmedic die zwei Varianten zulässt, würden um die elf Millionen weitere Impfdosen in die Schweiz geliefert – sofern es nicht zu Produktions- und Lieferverzögerungen kommt. Dies ist angesichts der momentanen Lage jedoch nicht unwahrscheinlich.
Geplatzte Fristen – auch die Schweiz ist betroffen
Pfizer/BioNTech sowie Moderna können aufgrund von Produktions- und Lieferverzögerungen den weltweiten Bedarf nicht abdecken, sodass es in zahlreichen Ländern zu Engpässen kommt. Laut Bundesrat Berset werde sich die Lage für die Schweiz im März entspannen, da mit den bald eintreffenden Dosen das Defizit wettgemacht werden könnte. Wenn alles wie geplant geliefert wird, dann könnten die Kantone bald täglich über 100'000 Spritzen setzen. Auch das BAG vertraut auf pünktliche Lieferungen und hält somit an seinem Zeitplan fest, nach dem alle Menschen, die das möchten, bis Ende Juni geimpft sein könnten.
An der Medienkonferenz vom Mittwoch, den 24. Februar, beteuerte der Bundesrat, dass es keine Ungleichbehandlung durch Impfprivilegien geben wird, solange sich nicht alle impfen lassen können. Doch was passiert – sofern alles nach Plan verläuft – nach Ende Juni? Kann es dann zu Vorteilen für Geimpfte kommen?
Israels «grüner Pass»
Wie ein Land mit Impfprivilegien funktioniert, sehen wir am Beispiel von Israel. Denjenigen Menschen, die sich gegen das Coronavirus geimpft oder von einer Erkrankung erholt haben, wird ein «grüner Pass» auf einer App ausgestellt, mit dem sie seit einer Woche von Erleichterungen profitieren. Mit dem «grünen Pass» können die Bevorzugten neuerdings Fitnessstudios, Hotels sowie Kultur- und Sportveranstaltungen besuchen. Schon bald sollen noch weitere Privilegien dazustossen, wie etwa der Besuch von Restaurants. Unumstritten ist dieses Vorgehen jedoch nicht. Es wird zum Teil als Druckmittel der Regierung sowie als diskriminierend wahrgenommen. Denn obwohl in Israel bereits sehr viele Menschen geimpfen sind, konnten noch nicht alle geschützt werden, die das auch wollen. Zudem sieht sich ein Teil der Bevölkerung Israels unter Druck gesetzt, sich impfen zu müssen, auch wenn gewisse das nicht möchten. So lassen sich die momentanen Demonstrationen auf den Strassen Israels erklären.
Wie äusserte sich der Bundesrat, als er letzten Mittwoch auf den «grünen Pass» und seine damit verbundenen Erleichterungen angesprochen wurde? Laut Bundesrat werde die Sachlage in den kommenden Wochen geprüft, doch zu Ungleichberechtigungen soll es nicht kommen. Doch hier stellt sich die nächste Frage: Wer prüft die Sachlage?
Nationale Ethikkommission als Fachgremium
Die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK) veröffentlichte am 12. Februar eine Medienmitteilung, in der sie ihre Meinung zu den Themen Impfobligatorium, Impfprivilegien und Schaffung von Anreizen zur Erhöhung der Impfbereitschaft darlegte.
Von einem allgemeinen sowie für bestimmte Bevölkerungsgruppen (beispielsweise für das Gesundheitspersonal) bestehenden Impfobligatorium rät die Kommission ab. Aus ihrer Sicht würde damit unverhältnismässig in Grundrechte eingegriffen. Nach heutigem Wissen schützen die Impfungen vor allem vor einem schweren Krankheitsverlauf. Ob und wie stark eine Viren-Übertragung durch die unterschiedlichen Impfstoffe verringert werden kann, ist noch nicht abschliessend erforscht. Neueste Studien aus Israel und Grossbritannien wollen einen gewissen Übertragungsschutz nachgewiesen haben. Solche Resultate sind als hoffnungsvolle Lichtblicke anzusehen, sie müssen aber noch von unabhängiger Seite weiter überprüft werden.
Die NEK schreibt, dass selbst bei einem gesicherten Schutz vor einer Viren-Weitergabe die Nutzen und Nachteile eines Impfobligatoriums für bestimmte Gruppen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssen. Mildere wirksame Methoden müssten zwingend ausgeschöpft werden, bevor ein Obligatorium in Betracht gezogen wird.
Impfprivilegien: unter gewissen Umständen denkbar
Die Nationale Ethikkommission hält fest, dass Ungleichbehandlungen von geimpften und nicht geimpften Personen für sie nur dann gerechtfertigt sei, wenn der Viren-Weitergabeschutz gesichert ist und alle Personen, die das möchten, Zugang zu einem Impfstoff haben. Sollten solche Impfnachweise, ähnlich wie der «grüne Pass» in Israel, Bevorteilungen ermöglichen, müssten laut der NEK zuvor alle offenen Fragen rund um den Nachweis geklärt werden. Erst danach stelle sich die nötige Rechtssicherheit ein, die bei solchen Massnahmen dringlichst benötigt wird. Der Kommission ist es aber ein besonderes Anliegen, dass allfällige Ungleichbehandlungen keinesfalls grundlegende Rechte tangieren.
Es scheint also durchaus die Möglichkeit zu bestehen, dass die Schweiz Ende Juni eine «Strategie der Vorteile für Geimpfte» verfolgt. Wo sind solche Privilegien denkbar?
Möglichkeiten des Bundes
Mit dem Epidemiengesetz (Art.6, Abs. 2d) hat der Bundesrat die Möglichkeit, die Impfung für gewisse gefährdete Bevölkerungsgruppen, besonders exponierte Personen sowie Personen mit einer bestimmten Tätigkeit, als obligatorisch zu erklären. Ein solch potentielles Obligatorium ist nicht für alle Grund zur Freude. So zeigte sich in den letzten Monaten, dass sich beispielsweise das Pflegepersonal nicht flächendeckend gegen Covid-19 impfen lassen möchte.
In der Schweiz gilt die Transportpflicht für Schiene, Strasse und Wasser. Im Personenbeförderungsgesetz sind für den ÖV klare Regeln festgelegt, die Impf-Bevorzugungen nicht zulassen würden. Bei privaten Unternehmen sieht dies jedoch ganz anders aus, denn sie dürfen Impfungen voraussetzen. Ein Restaurant oder ein Fitnessstudio ist beispielsweise nicht verpflichtet, alle möglichen Personen anzunehmen. Es ist also nicht auszuschliessen, dass private Unternehmen geimpfte Personen in Zukunft bevorzugen könnten und nicht geimpften Menschen den Zutritt verwehren. Selbst bei der Arbeit kann eine Impfung mittels Weisungsrechts gefordert werden. Wer sich als Arbeitnehmer_in den Weisungen widersetzt, muss allenfalls mit einer internen Versetzung oder gar mit der Kündigung rechnen. Was sagen die einzelnen Branchen dazu?
Wünscht sich die Wirtschaft Impfprivilegien?
Verschiedene Branchenverbände äussern sich kritisch gegenüber dieser Impf-Zugangserleichterung. Gastrosuisse, der Branchenverband für die Restaurants, will beispielsweise nichts von dieser Strategie wissen. Es sei für sie auch gar nicht möglich, diese Rolle der Überprüfung zu übernehmen. Ähnlich klingt es bei der Berner Clubkommission. Sie wollen nicht diejenigen sein, welche die Impfkampagne des Bundes umsetzen. Der Verband für Kinos erachtet die Diskussion rund um die Impf-Privilegien für Kinobesucher_innen als verfrüht, da sich die Schweiz, am Impffahrtplan gemessen, noch am Start befinde. Zudem sei es jedem einzelnen Verbandsmitglied selbst überlassen, welche Regeln sie festlegen möchten.
Die Swiss sieht bis jetzt keine Impfnachweise für ihr Personal und ihre Fluggäste vor. Es sei aber zu erwarten, dass gewisse Länder die Einreise nur für geimpfte Personen ermöglichen werden.
Der Arbeitgeberverband spricht allerdings eine ganz andere Sprache. So meint Daniela Lützelschwab gegenüber dem «Blick»: «Im privatwirtschaftlichen Arbeitsverhältnis muss es für die Arbeitsgeber möglich sein, einen Unterschied zu machen zwischen geimpften und nicht geimpften Arbeitnehmenden». So müssen die Arbeitnehmenden wohl künftig mit Erleichterungen und Konsequenzen rechnen.
Welche Strategie wird verfolgt?
In welche Richtung sich die Diskussionen und Strategien entwickeln, wird sich zeigen. Es muss nicht nur eine nationale Strategie mit klaren Regeln, die Rechtssicherheit mit sich bringen, geschaffen werden, sondern auch länderübergreifende Vereinbarungen. Denn ohne diese wird das Reisen mit dem Flugzeug, um nur ein Beispiel zu nennen, ziemlich chaotisch werden.
Was haltet ihr von allfälligen Impfprivilegien? Braucht es eine solche Bevorzugung oder eher nicht? Teilt uns eure Meinung mit! Und vergesst nicht den Gang zur Urne: Am Sonntag ist Abstimmungstag!