Der Abstimmungssonntag ist vorbei, die Schweizer Stimmbevölkerung hat zweimal Ja und einmal Nein gesagt. Während vorerst also keine elektronische Identität eingeführt wird, schliesst die Schweiz ein Freihandelsabkommen mit Indonesien ab und führt ein nationales Verhüllungsverbot ein. Discuss it fasst die Abstimmungsergebnisse nochmals zusammen und erklärt, wie es mit den drei Vorlagen nun weitergeht.
Das Verhüllungsverbot wurde mit 51.2 Prozent Ja-Stimmen und 18 von 23 Standesstimmen knapp angenommen und auch beim Handelsabkommen mit Indonesien ist es mit 51.6 Prozent Zustimmung spannend geworden. Deutlich abgelehnt wurde von der Schweizer Stimmbevölkerung hingegen das E-ID-Gesetz. 64.4 Prozent haben die Einführung einer elektronischen Identität abgelehnt.
Abstimmung zum Verhüllungsverbot international verfolgt
Die Verhüllungsinitiative war wohl die im Vorfeld am hitzigsten diskutierte Vorlage und hat auch in den internationalen Medien für Aufmerksamkeit gesorgt. Die Initiative verlangt, dass Menschen im öffentlichen Raum ihr Gesicht grundsätzlich nicht mehr verhüllen dürfen – unabhängig von ihren Gründen dafür, jedoch mit einigen Ausnahmen. Faktisch wurde aber oft über die Verhüllung mittels Burka und Niqab, also aus religiösen Gründen, diskutiert. Nach Annahme der Initiative ist die Schweiz das siebte Land in Europa, das ein nationales Verhüllungsverbot einführt. Bisher kennen bereits Belgien, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Lettland und Österreich ein solches Gesetz.
Während sich in ersten Bevölkerungsbefragungen im Januar ein klares Ja zum Verhüllungsverbot abzeichnete, ist die tatsächliche Abstimmung vergleichsweise knapp ausgefallen. Nicht einmal 70'000 Stimmen haben am Ende den Ausschlag gegeben und zu einer Zustimmung von 51.2 Prozent geführt. Besonders entscheidend für den Ausgang dieser Abstimmung war dabei die Westschweiz, wo nur der Kanton Genf das Verhüllungsverbot abgelehnt hat. Angesichts des sonstigen Abstimmungsverhaltens der Westschweiz mag diese Zustimmung überraschen. Gemäss Lukas Golder ist dieses Ergebnis in der Romandie aber nicht auf Fremdenfeindlichkeit zurückzuführen, sondern auf Bedenken bezüglich der inneren Sicherheit. Die Initiative sei unter anderem deshalb erfolgreich gewesen, weil sie sich mit der Verhüllung nicht nur auf Einstellungen zum Islam, sondern auch auf die Sicherheit bei Fussballspielen oder Demonstrationen bezogen hat.
Auch die zuständige Bundesrätin Karin Keller-Sutter sieht das Abstimmungsresultat nicht als ein Votum gegen Muslim_innen an. Von den rund 400'000 Muslim_innen in der Schweiz verhüllen bis anhin gemäss Schätzungen gerade einmal rund 30 Frauen ihr Gesicht, sodass die grosse Mehrheit von ihnen gar nicht von dem neuen Gesetz betroffen sein wird. Trotzdem sind einige mit dem Abstimmungsergebnis so unzufrieden, dass sie sogar gerichtlich dagegen vorgehen wollen. So haben die Jungen Grünen angekündigt, zusammen mit Menschenrechtsanwalt Philip Stolkin das neue Gesetz bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen, da es gemäss ihnen die Religionsfreiheit, das Persönlichkeitsrecht und die Gleichbehandlung verletze. Allerdings ist eine solche Klage gegen Frankreich aufgrund des Verhüllungsverbots bereits 2014 vom EGMR abgelehnt worden. Der reguläre Ablauf nach einer solchen Volksinitiative sieht nun vor, dass die Kantone zwei Jahre Zeit bekommen, die Ausführung dieses Gesetzes zu konkretisieren. Ab dann soll das nationale Verhüllungsverbot auch tatsächlich umgesetzt werden.
Deutliches Nein zum E-ID-Gesetz
Um Sicherheit ging es auch in der zweiten Abstimmungsvorlage, allerdings nicht um die Sicherheit im öffentlichen, sondern im digitalen Raum. Das Bundesgesetz über elektronische Identifizierungsdienste sollte den Weg ebnen, um der Schweizer Bevölkerung eine elektronische Identität anzubieten, die beispielsweise für das Login bei Banken oder für digitale Behördengänge hätte genutzt werden können. Dieses Login wäre von privaten Drittanbietern umgesetzt worden, wobei der Bund nur in die erstmalige Verifizierung der Identität und die Kontrolle der Anbieterinnen involviert gewesen wäre. Während das Gesetz im National- und Ständerat auf wenig Gegenwehr gestossen ist und sich auch in den ersten Befragungen im Januar noch eine Mehrheit für die E-ID ausgesprochen hat, hat die Schweizer Bevölkerung nun ihrer wachsenden Besorgnis um den Datenschutz in 64.4 Prozent Nein-Stimmen an der Urne Ausdruck verliehen.
Auch hier war es erneut die Westschweiz, die die stärksten Sicherheitsbedenken äusserte und das Gesetz am deutlichsten abgelehnt hat. Im Gegensatz zu den anderen beiden Vorlagen sagten hier aber schliesslich gar alle Kantone Nein. Für die meisten Expert_innen bedeutet die Ablehnung der Bevölkerung jedoch kein grundsätzliches Nein zu einer elektronischen Identität, sondern lediglich der Wunsch nach einer staatlichen Lösung. Auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter erkennt die Angst der Bevölkerung vor Datenmissbrauch und die Sicherheitsbedenken, die in den letzten Jahren mit Skandalen um Grosskonzerne wie Google und Facebook entstanden sind. Dennoch will sie das Nein zur E-ID nicht automatisch als Ja zu einer staatlichen Lösung werten. Sie verspricht aber, dass sich die Politik künftig grundsätzlicher mit den Bedenken um das Digitale der Bevölkerung auseinandersetzen will und auch den Austausch mit Expert_innen suchen wird.
Der Umwelt-Wirtschafts-Konflikt im Indonesien-Abkommen
Für eine weitere Überraschung hat auch die relativ knappe Annahme des Freihandelsabkommens mit Indonesien gesorgt. Während im Januar noch relativ viele Menschen unsicher waren, wie sie stimmen würden, haben sich schliesslich 51.6 Prozent für die Annahme des Abkommens entschieden. Nach der knappen Ablehnung der sogenannten Konzernverantwortungsinitiative (KOVI/UVI) im November 2020, die lediglich aufgrund des Ständemehrs zustande kam, zeigt sich beim Freihandelsabkommen mit Indonesien erneut, dass sich die Schweizer Bevölkerung von Wirtschaft und Politik einen verantwortungsvollen Umgang mit Mensch und Umwelt wünscht. Im Zentrum der Debatte stand vor allem das Palmöl, das von der Schweiz aus Indonesien dank des Freihandelsabkommens nun vergünstigt importiert werden kann. Zwar gelten gemäss Abkommen für den Abbau des Palmöls Nachhaltigkeitskriterien, sofern die Importeur_innen von verbilligten Zöllen profitieren wollen, allerdings ist die tatsächliche Einhaltung dieser Umweltschutzversprechen mit Bedenken behaftet. Das knappe Ergebnis zeigt jedoch: Ohne diese Umweltstandards hätte das Abkommen an der Urne wohl keine Chance gehabt.
Besonders auffällig ist bei dieser Abstimmung der sogenannte Röstigraben, der unter anderem ein unterschiedliches Stimmverhalten zwischen der West- und der Deutschschweiz offenbart. Mit Ausnahme des Kantons Basel-Stadt haben alle anderen Deutschschweizer Kantone sowie das Tessin das Freihandelsabkommen angenommen. In der Westschweiz haben die Kantone mit Ausnahme des Wallis’ geschlossen dagegen gestimmt. Am grössten war die Ablehnung hierbei im Kanton Jura.
Dieses Ergebnis ist nach klarer Zustimmung zum Freihandelsabkommen durch National- und Ständerat sowie durch die Wirtschaftsverbände und den Bauernverband eine grosse Überraschung und zeigt, dass der Schweizer Stimmbevölkerung ökologische Anliegen wichtiger werden. Bundesrat Guy Parmelin betrachtet die Annahme des Abkommens als historischen Erfolg, da es die erste Wirtschaftspartnerschaft der Schweiz mit verpflichtenden Nachhaltigkeitsregeln ist. Dennoch sei das Abstimmungsergebnis auch ein Zeichen dafür, den Umweltthemen inskünftig besondere Beachtung zu schenken, um die Zustimmung der Schweizer Bevölkerung weiterhin zu gewährleisten. Bei weiteren Freihandels-Referenden, wie auch zum Mercosur-Abkommen mit südamerikanischen Staaten eines angekündigt wurde, könnte diese Debatte also schon bald wieder aufgegriffen werden.
Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung
Nach diesem Rückblick auf die vergangenen Abstimmungen gilt es nun aber auch, nach vorne zu blicken. Denn gerade in der Schweiz steht fest: Nach den Abstimmungen ist vor den Abstimmungen! Der nächste Abstimmungstermin am 13. Juni 2021 liegt nur rund drei Monate entfernt und beinhaltet gleich fünf neue brisante Vorlagen. So wird über die Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung», die Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide», das Covid-19-Gesetz, das CO2-Gesetz und das «Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus» abgestimmt werden.
Und während am vergangenen Sonntag die Stimmbeteiligung mit 51.1 bis 51.4 Prozent vergleichsweise hoch war, bedeutet sie auch, dass sich nach wie vor knapp die Hälfte der Stimmberechtigten in der Schweiz nicht an den Abstimmungen beteiligt hat. Insbesondere in Anbetracht der knappen Resultate zeigt sich, dass eine Teilnahme an Abstimmungen einen Unterschied machen kann. Für uns von Discuss it heisst das, dass unsere Mission noch lange nicht zu Ende ist und wir besonders die jungen Menschen weiterhin politisch informieren wollen, um irgendwann eine Stimmbeteiligung von 100 Prozent zu erreichen!