Die Debatte um die Anwendung geschlechtergerechter Sprache ist nicht neu. In den letzten fünf Jahrzehnten ist auf diesem Diskussionsfeld viel geschehen. Der Diskurs hat die breite Öffentlichkeit erreicht, wurde stark ausgeweitet und wird viel differenzierter geführt. Diese Diversität verursacht nicht nur lebhaftere Diskussionen, sondern lässt sie auch unübersichtlicher werden. In dieser Zeit der extrem dynamischen Sprachentwicklung kann Orientierung nicht schaden. Discuss it informiert und klärt auf.
Wer gibt uns Strukturen? Sagt uns der Duden, was richtig oder falsch ist? Wieso gendert Discuss it in den Blog-Artikeln mit einem Unterstrich? Was hat es mit der Benennungslücke beim Gendersternchen, Unterstrich, Doppelpunkt und Mediopunkt auf sich? Fragen über Fragen. Doch unsere Sprachgemeinschaft diskutiert und ist sehr innovativ auf dem Weg der Formfindung unterwegs. Dabei hat uns wundergenommen: Gibt es ein offizielles Regelwerk, welches gewisse Form-Innovationen erlaubt oder verbietet? Wie steuert man durch die ungeheure Variantenvielfalt und entscheidet sich schliesslich für eine?
Die 28. Ausgabe des Dudens ist am 12. August 2020 erschienen und enthält nun neu beispielsweise das Wort Gendersternchen, welches immer wieder zu Diskussionen führt. Für geschlechtergerechte Formulierungen gibt der aktuelle Rechtschreibduden jedoch keine Normen an, sondern bloss einen Überblick über verschiedene Optionen. Wieso normiert der Duden die Formenvielfalt nicht, sondern hält sich aus der andauernden Diskussion heraus? Doch als erstes blicken wir auf die Geschichte der geschlechtergerechten Sprache, bevor wir auf den Duden zu sprechen kommen.
Wie Geschichte zu Formenvielfalt führt
Im Zuge der Gleichberechtigung der Geschlechter wurde in den USA der 1970er Jahre auch Sprachkritik geübt. In einer Studie von Robin Lakoff 1973 wurde auf die Marginalisierung von Frauen in der Sprache und im Sprachgebrauch hingewiesen. Fünf Jahre später befasste sich in Deutschland Senta Trömel-Plötz mit dieser Thematik. Zusammen mit Luise Pusch öffneten die beiden Sprachwissenschaftlerinnen das sehr grosse Forschungsfeld der Gleichstellung von Mann und Frau, das sich schnell auch auf andere Froschungsbereiche (wie z.B. die Psychologie, die Wirtschaft etc.) ausweitet und bis heute viele Forscher_innen beschäftigt.
In der Sprachwissenschaft der 90er Jahre wurden Analysen durchgeführt, die bestimmte sprachliche Strukturen und Gewohnheiten benennen. Durch die Analysen konnte nachgewiesen werden, dass gewisse sprachliche Gepflogenheiten zu Auslösern und Indikatoren für die Marginalisierung von Frauen führen. Fazit war, dass die deutsche Sprache eine massive, diskriminierende Färbung zugunsten des männlichen Geschlechts auswies. Denn: In Texten wurden durch die Verwendung des sogenannten generischen Maskulinums eigentlich nur Männer angesprochen. In den Folgejahren wurde verfeinerte Forschungsarbeit geleistet und verschiedene Vorschläge zur Überwindung der Problematik vorgebracht, die zu einer Fülle an Varianten führte. Doch welche Vorschläge und Formen sind für welchen Kontext und Gebrauch sinnvoll und noch verständlich?
Praktische Umsetzung gleichstellender Forderungen
Welche Formen dies sein können, haben eine Vielzahl an Studien in der Psycholinguistik, Kognitionspsychologie und Textlinguistik untersucht. In den Arbeiten werden insbesondere die Rezeption, Interpretation, Verständlichkeit und Lesbarkeit der unterschiedlichen sprachlichen Formen zur Bezeichnung von Personen erforscht und dargelegt.
Christopher Blake und Christoph Klimmt haben 2010 ihre Resultate zu Lesezeitmessungen für verschiedene Arten an Personennennungen publiziert. Untersucht wurden das generische Maskulinum (Leser), die Beidnennung (Leserinnen und Leser), die Partizip-Neutralisierung (Lesende) und das Binnen-I (LeserInnen). Es wurde nachgewiesen, dass bei diesen vier verschiedenen Varianten bezüglich der Lesbarkeit keine signifikanten Unterschiede auszumachen sind.
Mit einer Vergleichsstudie von Original- und gendergerechten Texten (Beidnennung), konnten Marcus Friedrich und Elke Heise 2019 nachweisen, dass es bei der Textverständlichkeit zu keinerlei Unterschieden kommt. Durch ähnliche Studien hat sich herausgestellt, dass neben der Lesefreundlichkeit und Textverständlichkeit die subjektive Bewertung der Textqualität und -ästhetik geschlechtergerechter Formulierungen insgesamt nicht negativ ins Gewicht fallen. Es sei jedoch zu beobachten gewesen, dass Männer in geringem Anteil die Maskulinformen ein wenig positiver bewerten. Dass bei Verwendung des generischen Maskulinums die kognitive Einbeziehung der Frau sehr gering ausfällt, konnte jedoch in mehreren Studien mit direkten Befragungen von Dagmar Stahlberg und Sabine Sczesny im Jahr 2001 aufgezeigt werden. Kurz zusammengefasst: Wenn die Testpersonen zur Nennung von drei bekannten Politikern aufgefordert wurden, so wurden kaum Politikerinnen genannt, sondern überwiegend Männer.
Es zeigt sich, dass die Forschung die unterschiedlichen Formen untersucht. Doch der Innovationsschnelligkeit der verschiedenen Varianten hinkt sie hinterher. Es kann trotzdem schon ausgesagt werden, dass sich die Sprache vor allem auch im Themenfeld der Geschlechtsneutralität sehr dynamisch entwickelt, aber noch kein Gesamtvergleich der unterschiedlichen Formenvielfalt gezogen werden kann.
Die Schweiz mit Vorreiterposition
Mit der Vielzahl an Forschungserkenntnissen, gab es immer mehr Forderungen nach gendergerechtem Sprachgebrauch, die sich in zahlreichen Leitfäden, Empfehlungen und Richtlinien niederschlugen. In Deutschland wurde 1980 von vier Linguistinnen einer der ersten Vorschläge herausgegeben. Sieben Jahre später erhielt Österreich – ebenfalls aus der akademischen Welt – einen Leitfaden zur sprachlichen Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die Schweiz nahm schliesslich durch den offiziellen, von der Schweizerischen Bundeskanzlei 1996 herausgegebenen Leitfaden eine Vorreiterrolle in dieser praxisorientierten Debatte ein. Mit diesem Leitfaden zur sprachlichen Gleichbehandlung im Deutschen wurden verbindliche Regeln für amtliche Texte des Bundes festgehalten. 2009 wurde er überarbeitet, und ist seither unter dem Titel Geschlechtergerechte Sprache. Leitfaden zum geschlechtergerechten Formulieren im Deutschen. zu finden. Wie kam es, dass die Schweiz eine Vorreiterrolle übernahm? Ein zweiter kurzer Blick auf die Geschichte schafft Klarheit.
1984 wurde Elisabeth Kopp als erste Frau in den Bundesrat gewählt. Da es bis zu dieser Zeit keine weibliche Funktionsbezeichnung gab, wurde in einer halbstündigen Sitzung die Bezeichnung (Frau) Bundesrätin Kopp bestimmt. Zwei Jahre später erreichte CVP-Nationalrätin Judith Stamm mit einer Motion die Schaffung des Eidgenössischen Gleichstellungsbüros. 1988 wurden die Berufsbezeichnungen der Bundesverwaltung an die sprachliche Gleichstellung von Mann und Frau angepasst. Neben dieser Anpassung setzte der Bundesrat eine interdepartementale Arbeitsgruppe ein, die Vorschläge für eine gendergerechte Verwaltungssprache ausarbeiten sollte, was sie drei Jahre später mit einem Bericht tat. Einige Jahre vergingen, bevor das Europäische Parlament 2008 ihrerseits einen mehrsprachigen Leitfaden veröffentlichte.
Mittlerweile gibt es verschiedene solcher Dokumente, die von institutioneller Seite herausgegeben wurden. Ihr Geltungsbereich umfasst einen fest abgesteckten Rahmen: Sie sind an ein klar bestimmtes Publikum gerichtet und gelten in einem spezifischen Anwendungsbereich im beruflichen Umfeld. Dass der Duden keine klaren Regeln bezüglich geschlechtergerechter Sprachformulierungen vorgibt, wurde bereits angedeutet. Zu was aber nimmt der Duden Stellung?
Geschlechtergerechte Sprache im Duden
Die Grundlage der deutschen Rechtschreibung bildet das amtliche Regelwerk, welches vom Rat für deutsche Rechtschreibung herausgegeben wird. Alle Wörterbücher werden dementsprechend auf dessen aktuellen Bestimmungen erstellt, so auch der Duden. Die Geschichte des Dudens ist sehr lang und reicht bis 1880 zurück. Schon damals verfolgte der Duden das Ziel, die deutsche Rechtschreibung durch klar festgehaltene Regeln zu vereinheitlichen. Nach erneuten Reform-Streitigkeiten im Jahr 2004, wurde der Rat für deutsche Rechtschreibung eingesetzt, der als zwischenstaatliches Gremium die Schreibentwicklung beobachtet und Regelanpassungen aufgrund des allgemeinen Sprachwandels festlegt.
2018 gab das Gremium in einer öffentlichen Empfehlung bekannt, dass sie sich des aktuellen Sprachwandels bezüglich geschlechtergerechter Formulierungen wie auch dem gesellschaftlichen Diskurs über die Einbindung von weiteren Geschlechtern in die schriftliche Sprache bewusst seien. Die «Erprobungsphase verschiedener Bezeichnungen des dritten Geschlechts» stehe in den verschiedenen Ländern des deutschen Sprachraums in unterschiedlichen Stadien. Aus diesem Grund wolle der Rat für deutsche Rechtschreibung den dynamischen Sprachwandel nicht mit Empfehlungen und Festlegungen ihrerseits beeinflussen. Deshalb gibt auch der Duden bisher keine genauen Regeln in Bezug auf geschlechterneutrale Sprache vor. Dennoch gab der Duden bis heute schon verschiedene Leitfäden heraus, die die geschlechterneutrale Sprache näherbringen und zukünftig vielleicht auch einfacher definieren könnten.
Die deutsche Sprache stirbt nicht – sie wandelt sich
Bisher wurde viel darüber geschrieben, wie Forderungen zur Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Sprache aufgekommen sind. Kann man diese Forderungen als Störung der ‹gewöhnlichen› Sprachentwicklung betrachten?
Ein entscheidender Punkt ist, dass sich jegliche Sprache verändert, solange sie gebraucht wird. Die Sprache wird von ihren Sprecher_innen gelebt und erfährt durch die Auseinandersetzung mit ihr einen permanenten Wandel. Es gibt viele Beispiele für solche Veränderungen, die eng an äussere Einflüsse und neue Bedürfnisse gekoppelt sind. In den letzten Jahrzehnten gab es in der deutschen Sprache Änderungen im Bereich der Höflichkeit (Anrede, Titeln, Grussformen usw.), im grammatischen System (Wegfall des Dativ-e oder Abbau von starken Präteritalformen: er boll/bellte, ich wob/webte), oder im Wortschatz. Gerade im Wortschatz ist die Veränderung massiv: Es gibt einerseits Wörter, die verschwunden sind (Luftikus, Ottomane usw.) und andererseits Wörter, die neu hinzukommen (so z.B. Anglizismen und fremdsprachige Ausdrücke, wie beispielsweise Fake News, Selfie, Computer oder cool). Selbst die Orthografie (Elephant wird zu Elefant usw.) und auch der Wortgebrauch einzelner Wörter (‹geil› oder mega) war von dieser Veränderungsentwicklung betroffen.
Dementsprechend ist der Sprachwandel ein unvermeidbarer Prozess, der sehr stark mit den Änderungen in der Gesellschaft verbunden ist. In den letzten Jahren wurde nicht nur die Gleichstellung der Frau diskutiert, sondern auch, wie man Menschen, die sich keinem der zwei ‹klassischen› Geschlechter zugehörig fühlen, in der schriftlichen Sprache ansprechen kann.
Die Benennungslücke als Lösung
Wie bei der gleichstellenden Sprachkritik, entstanden auch durch den Wunsch der schriftlichen Einbindung der dritten Option im Schriftbild viele verschiedene Vorschläge und Innovationen. Die gängigsten Formen sind mittlerweile der Genderstern (Leser*innen), Unterstrich (Leser_innen), Doppelpunkt (Leser:innen) und der Mediopunkt (Leser·innen). In der neuen Auflage des Dudens wird ein Überblick über all die verschiedenen Möglichkeiten gegeben, wie man geschlechtergerecht formulieren kann. Es wird auch explizit darauf hingewiesen, dass viele der neuen Schreibweisen (noch) nicht durch das amtliche Regelwerk abgedeckt sind. Es wird wohl noch einige Zeit vergehen, bis der Rat für deutsche Rechtschreibung eine klare Tendenz zu einer bestimmten Schreibform erkennt und sie dem Sprachwandel folgend ins amtliche Regelwerk einbettet. Erst danach wird die neue Regel auch in den Duden aufgenommen werden können.
Discuss it-Bloger_innen verwenden den Unterstrich*
Wir als Verein haben uns der Neutralität verpflichtet. Neben der politischen Neutralität gehört für uns auch die Geschlechterneutralität dazu. Unsere Blog-Artikel sind für alle Leser_innen gedacht, weswegen wir auch alle möglichen biologischen Geschlechtsausprägungen ansprechen wollen. Natürlich folgen wir aber auch keinerlei parteipolitischen Linien, weshalb wir uns dazu entschieden haben, den parteipolitisch (noch) unbesetzen Unterstrich zu verwenden, der nebenbei – subjektiv gesprochen – auch sehr lesefreundlich ausfällt. Laut Duden soll der Unterstrich bei Personenbezeichnungen «der sprachlichen Gleichbehandlung aller sozialen Geschlechter dienen» – was unserer Vereinsphilosophie entspricht.
Bis jetzt gibt es noch keine weitreichende amtliche Regeln, wie man gendergerecht schreiben soll. Alle Menschen und Vereine dürfen sich dementsprechend für ihre eigene Schreibform entscheiden. Gerne wollen wir deshalb von euch wissen: Wie schreibt ihr gendergerecht? Welche Überlegungen habt ihr euch zu diesem Thema gemacht?