Anonyme Drohbriefe, aufgeschlitzte Pneus und angezündete Anhänger – politisch aktive Schweizer:innen klagen in letzter Zeit immer wieder über Vandalismus und Drohungen im Abstimmungskampf. Jüngste Beispiele finden sich auch bei den beiden Agrarinitiativen, über die am kommenden Samstag abgestimmt wird. Tauscht die Politik zunehmend Sachlichkeit gegen Emotionalität? Und was bedeuten diese Emotionen für die politische Zukunft?
Politik scheint längst nicht mehr ein sachlicher, rationaler Austausch von Argumenten zu sein – vielleicht war sie das auch nie. Aber immer häufiger bekommt sie von den Medien den Stempel «emotional» aufgedrückt. Etwa dann, wenn Donald Trump seine politischen Gegner:innen beleidigt, seine Anhänger:innen das Kapitol stürmen, deutsche Lokalpolitiker:innen Drohbriefe erhalten oder - wie gegenwärtig in der Schweiz - Wahlplakate angezündet werden. Doch Emotionen in der Politik müssen auch nicht immer nur schlecht sein.
Bis zum politischen Mord
Die beiden Agrarinitiativen sind zurzeit nicht nur zwei der am härtesten, sondern auch zwei der am emotionalsten umkämpften Abstimmungsvorlagen in der Schweiz. Dabei überschreiten Anhänger:innen beider Seiten immer wieder Grenzen, indem sie Vandalismus betreiben oder die betreffenden Politiker:innen bedrohen. «Häng dich an einen Baum», liest Kilian Baumann, Nationalrat der Grünen und im Pro-Lager beider Initiativen, aus einem der vielen anonymen Briefe vor, die er in den letzten Wochen erhalten hat. Die Drohungen gehen bis zum Mord und betreffen immer häufiger nicht nur ihn, sondern auch seine Familie. Deshalb hat er entschieden, seine weiteren Auftritte zu den Initiativen abzusagen. Auch Samuel Häberli, der sich gegen beide Agrarinitiativen engagiert, hat mit den Folgen seiner politischen Aktivität zu kämpfen. So wurde auf seinem Bauernhof ein Anhänger mit Nein-Plakaten angezündet. Einem anderen Landwirt wurden die Pneus an seiner Landmaschine aufgeschlitzt.
Doch was in der Schweiz scheinbar erst jetzt zum Thema wird, ist in anderen Ländern schon lange als Problem anerkannt: In Deutschland werden Kommunalpolitiker:innen besonders seit der Flüchtlingskrise 2015 immer wieder bedroht oder verletzt und auch in der Corona-Pandemie ist es vermehrt zu Angriffen auf Lokalpolitiker:innen gekommen. Laut einer Umfrage des Magazins Kommunal wurden 72 Prozent der Bürgermeister:innen in Deutschland schon einmal beleidigt, bedroht oder attackiert. 2015 und 2017 wurden in Köln und Altena eine Oberbürgermeisterin und ein Bürgermeister von rechtsextremen Messerstechern am Hals verletzt. Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wurde 2019 aufgrund seiner Haltung in der Flüchtlingspolitik sogar von einem Rechtsextremisten erschossen. Der Mörder von Lübcke wurde anfangs dieses Jahres zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
Anonymität und die Rolle der sozialen Medien
Politologe Claude Longchamp stimmt zu, dass auch die Schweizer Politiklandschaft zunehmend durch Gehässigkeit geprägt wird. Die emotional umstrittenen Themen hätten sich dabei von Migrationsfragen und der Europapolitik weiter ausgedehnt, sodass nun beispielsweise auch wirtschaftliche Themen emotionaler diskutiert würden. Grund dafür seien unter anderem auch die sozialen Medien. Die Anonymität im Internet senke die Hemmschwelle, andere Menschen und auch Politiker:innen zu beleidigen oder zu bedrohen. Nach dem Mord an Walter Lübcke wurde deshalb in Deutschland die Forderung zur «Klarnamenpflicht» laut. Die hätte verlangt, dass alle Nutzer:innen sozialer Netzwerke ihren vollen Namen nennen müssen. Allerdings wurde die Idee abgelehnt, unter anderem deshalb, weil auch die Opfer von Hass leichter zu identifizieren wären und dadurch gefährdet würden.
Nicht immer nur Angst und Wut
Doch während sich das alles ziemlich ernüchternd anhört, müssen Emotionen in der Politik nicht immer nur schlecht sein. Und überhaupt: Reine Sachpolitik gibt es gemäss Prof. Dr. Tobias Schröder, Forschungsprofessor Nachhaltige urbane Entwicklungsstrategien an der Fachhochschule Potsdam, auch gar nicht. Das sei aber auch nicht nötig. Trotzdem müssten sich Politiker:innen gut überlegen, mit welchen Emotionen sie arbeiten wollen. «Die Botschaft muss zu der Emotionalität passen. Man muss sich klarmachen, dass man mit Emotionen eine bestimmte Geisteshaltung hervorruft und dann auch nur in dieser Geisteshaltung das Denken passiert», so Prof. Schröder.
Deshalb sei es nicht immer sinnvoll, in den Wähler:innen Wut oder Angst hervorzurufen. In einer ängstlichen Geisteshaltung ist es beispielsweise schwieriger, ein Problem zu lösen, denn dazu werden Intelligenz und Kreativität benötigt. Angst hingegen wirkt lähmend, gibt den Bürger:innen ein Gefühl der Machtlosigkeit und vergrössert dadurch ihre Angst weiter. Deshalb sollte Politik stärker mit positiven Gefühlen wie Hoffnung arbeiten. Hoffnung, dass wir als Gesellschaft ein Problem gemeinsam angehen und lösen können, anstatt uns gegenseitig zu bekämpfen.