Es war eine ebenso aufsehenerregende wie illegale Aktion: die Besetzung des Bundesplatzes durch die Klimastreik-Bewegung. Gleichzeitig berieten die Räte im Bundeshaus die Totalrevision des CO2-Gesetzes. Die Vorlage wurde klar angenommen, doch vielen Klimastreikenden geht sie zu wenig weit. So wollen einige Westschweizer Sektionen der Bewegung das Referendum ergreifen – das ist ein Novum für die Bewegung. Es stellt sich die Frage: Welches ist der beste Weg, um einem Anliegen politisches Gehör zu verschaffen?
© Climatestrike Switzerland, hochgeladen am 23. September 2020 auf flickr.com |
«Ziviler Ungehorsam» bedeutet, bewusst gegen das Recht zu verstossen, um mit friedlichen Mitteln für ein höheres Ziel einzustehen. So war die Besetzung des Bundesplatzes durch Klimastreikende während der Herbstsession eine Aktion von zivilem Ungehorsam. Illegal, da Demonstrationen auf dem Bundesplatz während Sessionen verboten sind, aber gewaltfrei. Die Klimastreik-Bewegung erregte damit viel Aufsehen und erzielte auch Ergebnisse, positiver wie negativer Art: Die Verabschiedung des neuen CO2-Gesetzes ist ein Schritt in der Klimapolitik, der den Klimaprotesten insgesamt zu verdanken ist. Gleichzeitig wurde die illegale Aktion vor allem von politisch rechter Seite scharf verurteilt. Dies führte unter vielen Parlamentarier_innen zu Streit und sogar zu gröberen Ausfälligkeiten.
Tun wir genug fürs Klima?
Die Bundesplatz-Besetzung fand unter anderem wegen all dieser Nebengeräusche ein riesiges mediales Echo. Dabei ging aber fast unter, was die Klimastreikenden inhaltlich forderten. Sie sind nicht zufrieden mit dem neuen CO2-Gesetz, das in der Herbstsession vom Parlament verabschiedet wurde. Dies, obwohl die Vorlage vom Parlament deutlich ambitionierter ausgestaltet wurde als ursprünglich vom Bundesrat vorgesehen. Sie beinhaltet eine Flugticketabgabe von bis zu 120 Franken, Massnahmen für mehr Klimaschutz im Inland, Abgaben für Privatjets sowie höhere Abgaben auf Benzin und Heizöl. Viele dieser Elemente wären vor kurzer Zeit im Parlament chancenlos gewesen, doch nun steht eine breite Allianz von Grünen, SP, CVP, Grünliberalen, BDP und FDP hinter den Massnahmen, die an den Zielen des Pariser Klimaabkommens von 2015 orientiert sind. So gesehen haben sich die Klimaproteste und der Linksrutsch im Parlament bei den letzten Wahlen offenbar inhaltlich im Gesetz niedergeschlagen.
Eine neue Methode für die Klimastreik-Bewegung
Doch für die Klimastreik-Bewegung wie auch viele linke Parlamentarier_innen reichen die beschlossenen Massnahmen noch nicht aus. Ihre Forderung lautet: Netto null bis 2030. Konkret bedeutet dies, dass wir – um diese Forderung zu erfüllen – ab spätestens 2030 nur so viel CO2 ausstossen dürfen, wie auch wieder eingespeist wird. Die Unzufriedenheit bei manchen Klimastreikenden ist nun so gross, dass sie ein Referendum gegen die CO2-Gesetzesvorlage angekündigt haben. «Wenn sich das Parlament mit diesem Gesetz lobt, wird in den nächsten zehn Jahren praktisch nichts mehr geschehen», sagte Franziska Meinherz, Pressesprecherin des Klimastreiks, zu SRF. Das bald inkrafttretende Gesetz beinhalte «keine fundamentalen Änderungen». So begebe man sich auf einen sehr gefährlichen Weg.
Wichtig zu betonen ist, dass nicht die ganze Schweizer Klimastreik-Bewegung das Referendum ergreifen will, sondern vor allem die Westschweizer Sektionen (Achtung: das sind lediglich 5 von 21 Sektionen!). Dennoch: Die Klimastreikenden in der Schweiz greifen mit der Ankündigung des Referendums zu einer neuen Methode. Sie, die bisher mit Demonstrationen und zivilem Ungehorsam Aufmerksamkeit erregt haben, setzen nun zum ersten Mal auf das konventionelle Mittel des Referendums.
Dies nimmt Discuss it zum Anlass, um den Referendumsprozess genauer unter die Lupe zu nehmen. Was ist eigentlich ein Referendum? Wie läuft der Referendumsprozess ab? Und wie steht es um die Erfolgschancen eines Referendums?
Obligatorisches vs. fakultatives Referendum
In der direkten Demokratie der Schweiz ist das Referendum ein wichtiges Instrument für das Stimmvolk, um Entscheide des Parlamentes zu bekräftigen oder umzustossen. Es gibt zwei Arten von Referenden: das obligatorische und das fakultative Referendum. Gewisse Parlamentserlasse wie z.B. Verfassungsänderungen unterliegen dem obligatorischen Referendum. Dies bedeutet, dass sie zwingend dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden müssen – das Parlament darf sie nicht in Eigenregie beschliessen. Zudem braucht es für Verfassungsänderungen das doppelte Mehr: Sowohl die Mehrheit der Abstimmenden als auch die Mehrheit der Kantone (Stände) müssen zustimmen.
Das fakultative Referendum dagegen kann von Stimmbürger_innen oder Kantonen ergriffen werden, wenn sie mit einem Entscheid des Parlamentes nicht einverstanden sind. Innerhalb von 100 Tagen nach der amtlichen Veröffentlichung des Erlasses braucht es 50’000 Unterschriften von Stimmberechtigten oder die Unterstützung von acht Kantonen, damit das Referendum zustande kommt. Wenn der Prozess korrekt abläuft, also wenn die 50’000 Unterschriften gültig sind, kommt die Vorlage zur Volksabstimmung. Das Gesetz tritt nur in Kraft, wenn es von der Mehrheit der Abstimmenden angenommen wird. Das Erreichen des Ständemehrs ist bei einem fakultativen Referendum nicht notwendig.
Welche Erfolgschancen haben fakultative Referenden?
Seit der Gründung des modernen Schweizer Bundesstaates im Jahre 1848 kamen 193 fakultative Referenden zur Abstimmung. Die Statistik zeigt: 82 davon waren erfolgreich, 111 wurden verworfen. Dies entspricht einer Erfolgschance von 42,5 Prozent – eine viel höhere Erfolgsquote als bei Volksinitiativen. Dabei fällt jedoch auf, dass fakultative Referenden in jüngerer Zeit immer seltener Erfolg hatten. Während fakultative Referenden von 1848 bis 1940 meistens Zuspruch fanden - die Vorlagen der Behörden also vor dem Volk scheiterten, lagen die Erfolgschancen von 1941 bis 1990 etwa bei 50 Prozent.
Im Zeitraum von 1991 bis heute aber hat sich der Trend definitiv umgekehrt: Zwar wird das Referendum viel häufiger ergriffen als in früheren Jahrzehnten, weil auch insgesamt viel mehr Gesetze beschlossen werden, aber es ist immer seltener erfolgreich – nämlich nur noch in 24 von 90 Fällen. Das entspricht einer Erfolgsquote von lediglich 26,7 Prozent in den letzten 30 Jahren. So ist es eher aussergewöhnlich, dass am letzten Abstimmungssonntag gleich zwei fakultative Referenden erfolgreich waren: Gegen das revidierte Jagdgesetz und gegen die Erhöhung der Kinderabzüge wurde das Referendum ergriffen, und die Stimmbürger_innen entschieden im Sinne des Referendums. Das bedeutet, dass die Vorlagen abgelehnt wurden.
Links-Grün kritisiert Referendum gegen das CO2-Gesetz
Wir können also festhalten: Das links-grüne Lager konnte soeben zwei Referendums-Erfolge feiern. Was bedeutet das nun für das Referendum gegen das CO2-Gesetz? Vorerst noch gar nichts. Denn zuerst müssen 50’000 gültige Unterschriften gesammelt werden, damit das Referendum zustande kommt. Und dies ist eine nicht zu unterschätzende Hürde. Zumal die Westschweizer Klimastreik-Sektionen mit dem Widerstand gegen das CO2-Gesetz auf linker Seite ziemlich alleine dastehen: SP und Grüne stehen dem Anliegen sehr kritisch gegenüber und empfehlen, das Referendum nicht zu unterschreiben
So twitterte etwa Grünen-Präsident Balthasar Glättli: «Ein Referendum heisst für die nächsten Jahre: weniger Klimaschutz als heute.» Deswegen sei ein Referendum klimapolitisch unverantwortlich. Auch ETH-Professor und Klimaforscher Reto Knutti, der fast schon zur Galionsfigur der Klimastreik-Bewegung avancierte, meldete sich kritisch zu Wort: Das Gesetz reiche zwar nicht aus, aber noch schlimmer wäre, gar nichts zu beschliessen. «Mit dem Referendum riskieren Teile der Klimastreik-Bewegung den totalen Scherbenhaufen.»
Unheilige Allianz für das Referendum
Von links-grüner Seite ist also keine Unterstützung für das Referendum zu erwarten. Vom anderen Ende des politischen Spektrums dagegen schon: Die SVP unterstützt ein Referendum gegen das CO2-Gesetz. In der Parlamentsdebatte bekämpfte die SVP die Gesetzesvorlage als «zu sozialistisch» und als «Mega-Bürokratiemonster». Auch mehrere Wirtschaftsverbände sprechen sich dagegen aus und würden ein allfälliges Referendum unterstützen. So ergäbe sich die absurde Situation, dass die besonders ambitionierten Teile der Klimastreik-Bewegung mit der SVP und den Wirtschaftsverbänden im selben Boot sässen. Franziska Meinherz lehnte eine solche sogenannte «unheilige» Allianz zwar mit deutlichen Worten ab: «Wir distanzieren uns klar von den Klimaleugnern der SVP und den Nimmersatten von Economiesuisse.»
Doch es bleibt dabei: Wenn es ein Referendum gibt, werden die Unterschriften der ideologisch Lichtjahre auseinander liegenden Lager zusammengezählt. Ob die 50’000 Unterschriften diesmal zusammenkommen oder nicht – das fakultative Referendum ist in jedem Falle ein mächtiges Instrument für die Stimmbürger_innen, um gegen Parlamentsbeschlüsse vorzugehen, mit denen man nicht einverstanden ist.
Du bist mit einem Beschluss des Parlaments nicht einverstanden? So merke dir: Indem du Referenden unterschreibst oder sogar selbst auf Unterschriftenjagd gehst, kannst auch du in der Schweizer Politik mitbestimmen.