26. August 2020

Jagdgesetz: verbesserter Artenschutz oder vereinfachter Abschuss?

Am 27. September stimmt die Schweiz über das revidierte Jagdgesetz ab. Während das Pro-Komitee von einem fortschrittlichen Jagdgesetz spricht, bezeichnet die Gegenseite den parlamentarischen Beschluss als Abschussgesetz.




Die Artenvielfalt und Lebensräume von Wildtieren erhalten, bedrohte Tierarten schützen und für angemessene Jagdbedingungen sorgen: Dies ist das Ziel des seit 1986 geltenden Jagdgesetzes. Damals waren Arten wie der Bär oder der Wolf in der Schweiz ausgestorben. In den vergangenen Jahren haben sich jedoch Grossraubtiere wieder niedergelassen, wodurch vermehrt Konflikte zwischen Menschen, Nutztieren und Wildtieren entstehen.

Forderung nach Revision führte zu jahrelanger Debatte

Bereits 2009 wurde vom Schweizer Tierschutz sowie den Umweltverbänden eine Revision des Jagdgesetzes gefordert. Eine Überarbeitung wurde jedoch lange hinausgeschoben. Die Motion Zusammenleben von Wolf und Bergbevölkerung von Ständerat Stefan Engler (CVP) im Jahr 2014 brachte Bewegung in den Anpassungsprozess. Vorgesehen war eine punktuelle Revision, die sich auf die Regulierungsmassnahmen des Wolfbestands begrenzen sollte. Einer kleinen Anpassung des Art. 7 des Jagdgesetzes stimmte der Ständerat einstimmig zu, wie auch der Nationalrat mit grosser Mehrheit. In der Folge arbeitete der Bundesrat eine Teilrevision des Jagdgesetzes aus, welches stattliche 23 Änderungen vorsah, anstelle der einen geforderten. Es begann ein jahrelanges Hin und Her zwischen den beiden Räten. Viele Mehrheits-, Minderheits- und Einzelanträge sowie eine Einigungskonferenz brachten das heute vorliegende Gesetz hervor. Zur Abstimmung kommt es, weil verschiedene Naturschutzverbände das Referendum ergriffen haben.

Welche Änderungen stehen zur Abstimmung?

Vergleicht man das Jagdgesetz aus dem Jahr 1986 mit der revidierten Version, so stechen allerhand markante Unterschiede hervor. Die Liste der jagdbaren Arten und deren Schonzeiten wurden in Art. 5 angepasst. Neu brauchen die Kantone keine Zustimmung mehr vom Bundesamt für Umwelt (BAFU), um diese Schonzeiten vorübergehend zu kürzen. Auch eine Bestandsregulierung von Steinbock und Wolf könnten die Kantone neu in Eigenregie beschliessen. Auf Seiten des Nein-Komitees sorgt eine weitere Anpassung für rote Köpfe: Der Bundesrat könnte neuerdings geschützte Tiere auf die Liste der regulierbaren Arten setzen und sie somit dem Abschuss freigeben.

Zudem gibt es neue Massnahmen zur Verhütung von Wildschäden. Mit der Revision dürften die Kantone härter gegen geschützte Tierarten wie den Wolf vorgehen. Vorher musste ein Wolf Schafe reissen oder eine Gefahr für Menschen darstellen, um abgeschossen werden zu dürfen. Nun geraten bereits verhaltensauffällige Tiere ins Visier – also solche, welche die Scheu an den Menschen verloren und sich an Schutzkonzepte der Hirten gewöhnt haben. Diese Tatsache sehen Gegner_innen der Revision sehr problematisch, weil Tiere allein ihrer natürlichen Existenz wegen geschossen werden dürften. 

Wie der Wolf zurück in die Schweiz kam

Als das heute geltende Jagdgesetz in Kraft trat, waren die Wölfe in der Schweiz ausgerottet. 1971 stellte Italien den Wolf unter Schutz, wodurch sich die Population in den Abruzzen erholen konnte. 1981 wurde die Berner Konvention in der Schweiz rechtskräftig, wodurch der Wolf neuerdings als streng geschützt galt. So konnte sich der Wolf weiter ausbreiten, bis er vor etwa 25 Jahren wieder in die Schweiz einwanderte. Seither wächst der Bestand kontinuierlich. Laut WWF Bern leben in der Schweiz 60-70 Wölfe. Vier Rudel haben sich im Kanton Graubünden niedergelassen, drei im Wallis und je ein Rudel in den Kantonen Tessin und Jura. Aufgrund des steigenden Wolfbestandes werden mehr Schafe und Ziegen gerissen, jährlich 300 bis 500 an der Zahl. Mit der Revision des Jagdgesetzes würde den Kantonen eine Regulation ermöglicht, welche die Übergriffe von Wölfen verringern sollten.

Der Wolf als streng geschützte Art

Wie mit dem Wolf umzugehen ist, spaltet die Schweiz in zwei unterschiedliche Lager. Den Schafhirten auf den Alpen erscheint der Wolf als Feind, der ihnen ihre Existenzgrundlage raubt. Auf der anderen Seite betrachten die Naturschutzorganisationen den Wolf als eine absolut schützenswerte Wildtierart. Dass nicht alle Kantone mit den Wolfsproblemen zu kämpfen haben, fördert das Unverständnis zwischen den entzweiten Lagern. 

Seit 1981 gilt der Wolf durch die Berner Konvention als streng geschützte Art. Auch als solche kann er jedoch unter gewissen Voraussetzungen geschossen werden. Dennoch hat die Schweiz bereits drei Anträge an die zuständige europäische Behörde eingereicht, mit dem Begehren, den Wolf von streng geschützt auf geschützt zurückstufen zu lassen. 2006 und 2012 lehnte der Europarat die Anträge jeweils ab, während der dritte Antrag von 2018 noch gar nicht behandelt wurde. Die Bemühungen der Schweiz zeigen auf, dass der steigende Wolfsbestand nach einer Anpassung verlangt.

Klare Verhältnisse durch revidierte Jagdverordnung

Wie die genauen Umsetzungspläne aussehen, steht in detaillierter Form in der revidierten Jagdverordnung. Dort ist beispielsweise festgehalten, ab wann ein Eingriff in die geschützten Arten wie Steinbock, Wolf und Höckerschwan gerechtfertigt ist, welche Kriterien dabei gelten und was genau als Schaden bezeichnet wird. So stellt sich die Frage, ob diese von den Gegnern als «Abschussgesetz» bezeichneten Bestimmungen nicht gar einen besseren Artenschutz bewirken, indem sie die Bedingungen für einen Abschuss klarer definieren.

Welches sind nun die Argumente des Pro- und Contra-Lagers? Discuss it hat verschiedene Stimmen gesammelt und stellt euch die unterschiedlichen Meinungen vor.

«Es findet eine Stärkung von Natur und Artenschutz statt»

Die Revision des Jagdgesetzes wurde von einer parlamentarischen Mehrheit angenommen, die aus Mitgliedern der SVP, CVP, BDP und FDP bestand. Auch der Bundesrat steht hinter diesem Entscheid, weil der Naturschutz verbessert und eine Lösung im Umgang mit dem Wolf geboten werde. 

Jill Nussbaumer vom Komitee «Ja zum Jagdgesetz» sieht die positive Bestandsentwicklung der jagdbaren und geschützten Tierarten in den letzten Jahrzehnten als Zeichen dafür, wie «umsichtig die Kantone mit unseren Wildtieren umgehen». Das neue Jagdgesetz bringe viele Vorteile für die Tiere mit sich, da Arten- und Tierschutz sowie die Tiergesundheit als Leitfaden gelten und dadurch gestärkt würden. Denn das alte Gesetz «erfüllt die Anforderungen an Arten- und Tierschutz nicht mehr», so Nussbaumer. Weitere Vorteile seien die finanzielle Unterstützung von Vogel- und Wildschutzgebieten sowie den zwölf neu geschützten Wildtierarten. Mit dem gesetzlichen Festschreiben von Wildtierkorridoren würden zudem die Lebensräume und die Wanderbewegungen der Wildtiere geschützt. Neben der nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder, die durch Wildtierregulation gesteuert wird, würden auch die Menschen profitieren. Das Konfliktpotential zwischen Wild-, Nutztieren und dem Menschen könnte mit dem neuen Gesetz verringert werden. «Es ist selbstverständlich, dass die Bestände der gefährdeten und geschützten Wildtierarten auch im neuen Gesetz nicht angetastet werden», versichert Nussbaumer. Es würde sogar eine Stärkung von Natur und Artenschutz stattfinden.

«Nein – weil es ein Abschussgesetz ist»

Das neue Jagdgesetz wurde im Parlament von einer Minderheit abgelehnt. Mitglieder der SP, Grünen, GLP sowie einige Freisinnige haben sich gegen den Kompromiss ausgesprochen. Erfolgreich haben Naturschutzverbände wie Pro Natura, WWF und Birdlife das Referendum eingereicht und somit die Abstimmung an der Urne ermöglicht.

Martin Bäumle vom Komitee «Jagdgesetz NEIN» betrachtet die Revision als unnötig, da bereits mit dem alten Gesetz einzelne Problemtiere geschossen werden dürfen. Zudem befürchtet er, dass dem Bundesrat zu viel Macht zugesprochen werde: «Das Gesetz ist ein Abschussgesetz, welches dem Bundesrat mittels Verordnungen ermöglicht, fast jedes erwünschte Tier abzuschiessen.» Laut Bäumle würden so schon bald der Biber, der Luchs und der Schwan auf der Abschussliste landen, wie es sich bereits in der Parlamentsdebatte abgezeichnet hätte. Auch laut Beat Flach, GLP Nationalrat, handelt es sich um ein Abschussgesetz. «Wir wollten ein Gesetz, das bedrohte Arten schützt. Stattdessen haben wir eines, das bedrohte Tierarten ausrotten soll.» Deswegen ist er gegen die Jagdgesetzrevision. Martin Kreiliger vom Nein-Komitee sieht zudem folgendes Problem: «Das neue Jagdgesetz hat deutlich zum Ziel, die Regulation von Grossraubtieren zu erleichtern.» Aber dies könne nicht im Interesse des Waldes sein, da Grossraubtiere wie der Wolf die hohen Wildbestände auf natürliche Weise regulieren. So könnten menschliche Massnahmen zum Waldschutz reduziert werden.

Abschussgesetz oder doch Stärkung der Natur und des Artenschutzes?

Das revidierte Jagdgesetz beinhaltet sehr viele Änderungen und Anpassungen. Sich eingehend damit zu befassen, lohnt sich auf alle Fälle. Es geht nicht nur um den erleichterten Abschuss des Wolfes, sondern auch um Unterstützungsleistungen des Bundes an die Kantone. Was denkt ihr über den Abschuss von Grossraubtieren? Ist die neue Jagdverordnung ein Abschussgesetz oder fördert sie den Naturschutz? Soll der Wolf ganz geschützt werden oder doch Regulierungen unterliegen? Informiert euch, bildet euch eine Meinung und stimmt am 27. September ab!

Alle Aussagen der in diesem Artikel vorkommenden Personen findest du im Video über diesem Beitrag.

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