Die Politik ist in der Sommerpause. Der perfekte Zeitpunkt, um sich mit den fünf Themen zu befassen, über die wir im September national abstimmen. Discuss it bietet einen ersten Überblick.
Es ist Sommerpause, der Politikbetrieb ruht. In der Badi sitzen und in der Sonne ein Glacé schlecken ist gerade viel angesagter als die Beschäftigung mit politischen Themen. Allenfalls diskutieren wir noch über die Maskenpflicht in den ÖV oder debattieren über den Umgang mit dem Corona-Virus am Arbeitsplatz, im Ausgang, im Sport.
So viele Vorlagen wie seit 2016 nicht mehr
Dabei: Der nächste Abstimmungssonntag rückt immer näher. In etwas mehr als zwei Monaten, am 27. September, stimmen wir das nächste Mal ab – das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit. Denn der Abstimmungstermin im Mai fiel der Corona-Krise zum Opfer. So kommt es auch, dass wir im September gleich zu fünf Vorlagen nach unserer Meinung gefragt werden. So viele waren es zuletzt am Wahlsonntag im Juni 2016 gewesen.
Unter den fünf Vorlagen befinden sich ganz schöne Brocken: Wollen wir die Personenfreizügigkeit, die in den bilateralen Verträgen mit der EU geregelt wird, kündigen? Soll die Schweizer Armee neue Kampfjets besorgen? Haben Männer zukünftig Anrecht auf einen Vaterschaftsurlaub? Ausserdem: Sollen der Schutz für den Wolf in der Schweiz gelockert werden? Sollen Eltern die Kinderbetreuungskosten stärker von den Steuern abziehen können?
Das sind gewichtige Themen, über die es sich genau nachzudenken lohnt. Discuss it stellt euch die einzelnen Vorlagen im Kurzdurchlauf vor. Uns beschäftigt dabei auch: Welche der Vorlagen droht ab der geballten Ladung an Initiativen und Referenden, über die es sich eine Meinung zu bilden gilt, am meisten unterzugehen?
Begrenzung oder Kündigung?
Die Begrenzungsinitiative ist eine der Vorlagen, über die wir bereits im Mai hätten abstimmen sollen. Sie kommt aus dem Lager der SVP. Sie verlangt, dass die Schweiz die Zuwanderung selbst steuern und regeln kann, ganz ähnlich wie das die 2014 angenommene Masseneinwanderungsinitiative, ebenfalls von der SVP, schon gefordert hatte. Neu ist, dass die SVP explizit verlangt, dass dazu die Personenfreizügigkeit mit der EU neu verhandelt und, sollte das nicht möglich sein, gekündigt werde. Gegner der Initiative befürchten, dass damit gleich alle bilateralen Verträge mit der EU hinfällig würden. Aus diesem Grund sprechen sogar alle grossen Zeitungen der Schweiz von der Kündigungsinitiative der SVP und gebrauchen nicht den Begriff Begrenzungsinitiative, der dem Initiativtext-Wortlaut entspräche. Bekämpft wird die Initiative von Bundesrat, allen anderen bürgerlichen Parteien, der SP und den Grünen sowie nahezu allen grösseren Wirtschaftsverbänden.
Wölfe stärker regulieren
Auch die Änderung des Jagdgesetzes hätte schon im Mai zur Abstimmung kommen sollen. Das Parlament hat in der Herbstsession 2019 entschieden, das Jagdgesetz, welches die Jagd, aber auch den Schutz von Wildtieren in der Schweiz regelt, zu revidieren. Neu ist vor allem, dass geschützte Tierarten wie zum Beispiel der Wolf unter Umständen auch dann geschossen werden dürfen, wenn sie noch keinen Schaden angerichtet haben. Neu ist auch, dass der Bund die Kompetenz, geschützte Wildtiere zu regulieren, zu weiten Teilen an die Kantone überträgt. Daran stören sich Natur- und Tierschutzverbände, weshalb sie gegen das Gesetz das Referendum ergriffen haben. Ihnen ist auch ein Dorn im Auge, dass der Bundesrat die Liste an Tieren, die reguliert werden dürfen, obwohl sie geschützt sind, erweitern kann. Der Bundesrat spricht sich für die Vorlage aus. Auch die SVP und die CVP stehen hinter dem neuen Jagdgesetz. Neben den Natur- und Tierschutzverbänden kämpfen auch SP, Grüne und Grünliberale gegen das neue Gesetz. Die FDP hat noch keine Parole gefasst.
Wer profitiert wirklich?
Auch gegen die Änderung des Bundesgesetzes über die Bundessteuer wurde das Referendum ergriffen. Schon im Mai hätten wir darüber abstimmen sollen, ob Eltern künftig höhere Abzüge bei den Steuern geltend machen können. Ursprünglich vorgesehen war, dass der Abzug bei den Drittbetreuungskosten erhöht wird. Wer sein Kind also in einer Krippe oder eine Tagesstätte gibt, sollte die dadurch anfallenden Kosten stärker von den Steuern abziehen können. Das Parlament hat sich allerdings dazu entschieden, zusätzlich den allgemeinen Kinderabzug, egal ob das Kind zuhause oder in einer Krippe betreut wird, zu erhöhen. Dagegen wehren sich linke Kreise, die damit argumentieren, dass ein solches Vorgehen vor allem wohlhabenden Eltern helfen würde, während andere der Meinung sind, dass so alle Familien entlastet würden. Der Bundesrat, SVP, FDP und CVP sind für die Vorlage, die GLP dagegen. Die FDP Frauen haben Stimmfreigabe beschlossen.
Sechs Milliarden Franken für neue Flugzeuge
Bleiben die zwei Vorlagen, über die noch nicht im Mai abgestimmt worden wäre. So stimmt die Schweiz im September darüber ab, ob die Armee neue Kampfjets beschaffen soll. Es geht dabei ausdrücklich nicht darum, wie viele oder welche Flugzeuge gekauft werden. Darüber würden Bundesrat und Parlament entscheiden. Abgestimmt wird einzig und alleine darüber, ob der Bundesrat einen Gesamtbetrag von sechs Milliarden Franken zur Beschaffung neuer Flugzeuge freimachen soll. Die Armee schätzt selbst, dass inklusive Betrieb und Wartung der Flugzeuge 18 Milliarden Franken fällig werden. Gegner rechnen mit bis zu 24 Milliarden Franken. Die Meinungen verlaufen entlang der in Armeefragen bekannten Linien. Die Bürgerlichen sind grossmehrheitlich für den Kauf, die Linken dagegen.
Zwei Wochen Vaterschaftsurlaub
Dass Männer in Zukunft einen Vaterschaftsurlaub hätten machen können, hat das Parlament eigentlich in der Herbstsession 2019 entschieden. Damit wäre es Vätern möglich gewesen, zukünftig zwei Wochen Ferien innerhalb der ersten sechs Monate, nachdem das Kind zur Welt gekommen ist, zu beziehen. Am bereits bestehenden Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen hätte sich dabei nichts geändert. Die SVP hat allerdings das Referendum dagegen ergriffen. Auch die Jungfreisinnigen und Arbeitgeberverbände bekämpfen den Vaterschaftsurlaub.
Zu viele Entscheidungen auf einmal?
Fünf Vorlagen auf einen Schlag, darunter grosse Themen wie die allfällige Kündigung der Bilateralen oder der Kauf neuer Kampfjets. Drohen da nicht andere Themen wie zum Beispiel der Kinderdrittbetreuungsabzug unterzugehen?
Flavien Gousset von der SP ZH leitet die Kampagne gegen die Vorlage. Für ihn sei völlig klar, dass die Leute nicht hauptsächlich wegen der Vorlage zu den Steuererleichterungen für Eltern an die Urne gehen. Er sagt: «Weil wir mit so vielen anderen Themen in Konkurrenz stehen, haben wir bewusst früh mit der Kampagnenarbeit angefangen.» So sei es ihnen gelungen, in den letzten Wochen auch in den Medien darauf hinzuweisen, dass auch Bürgerliche aus der FDP und der CVP Mühe mit der Vorlage hätten. «Es hilft uns sehr, dass wir sagen können, dass nicht nur Linke, sondern immer mehr auch Bürgerliche gegen den völlig ungerechten Steuerabzug sind. Er kostet nur viel Geld und hilft fast niemandem.»
Gousset hofft desshalb darauf, dass insbesondere die hohen finanziellen Belastungen der Corona-Krise zu einem Umdenken führen würden, sodass man schliesslich nicht nochmals 370 Millionen Franken Steuerausfälle in Kauf nehmen wolle. So hoch beziffert Finanzminister Ueli Maurer den Betrag, der bei einer Annahme der Vorlage in den Kassen von Bund und Kantonen fehlen würde.
Für Philipp Kutter von der CVP sind die drohenden Steuerausfälle vertretbar. Auf ihn geht der Vorschlag zurück, neben den Drittbetreuungskosten auch gleich noch den allgemeinen Kinderabzug zu erhöhen. «Es geht darum, dass Eltern für den Einsatz für ihre Kinder vom Staat entlastet werden. Und zwar unabhängig davon, ob sie das von zuhause aus tun oder die Kinder in eine Krippe geben», sagt er gegenüber dem Tagesanzeiger.
Informiere dich!
Discuss it wird in den folgenden Wochen die einzelnen Vorlagen im Detail vorstellen. Schon jetzt empfehlen wir dir aber, dich ein wenig schlau zu machen, wie du zu den einzelnen Vorlagen stehst. Das geht auch wunderbar im Gespräch mit Freunden und Freundinnen während dem Badibesuch. Denn: So viele Abstimmungsunterlagen wie jetzt werden wir wohl lange nicht mehr in unseren Briefkästen finden.