Diese Frage ist gerade in der Coronakrise immer wieder aufgeworfen worden. Hohe Wellen hat auch eine Diskussion in der Wirtschaftskommission des Nationalrates geschlagen. Die Mehrheit dieser Kommission ist nämlich zum Schluss gekommen, dass die Task Force – also die Wissenschaftler_innen, welche dem Bundesamt für Gesundheit (kurz BAG) beratend zur Seite stehen – keine öffentlichen Aussagen mehr machen soll, wenn es um die Corona Massnahmen des Bundes ginge. Dieser Vorschlag scheiterte zwar im Nationalrat, führte jedoch zu hitzigen Diskussionen. Wie ist diese Situation während der Pandemie zu beurteilen? Und wie steht es generell um das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik? Discuss it fasst zusammen.
Es hat zu einer ziemlichen Aufruhr geführt, dieser gewünschte – wie ihn die Medien oft nannten – «Maulkorb» für die wissenschaftliche Corona-Task Force der Schweiz. Sei das überhaupt vertretbar? Ein Redeverbot in der Schweiz, wo die Meinungsfreiheit so grossgeschrieben werde? Nein, meinte schliesslich der Nationalrat. Der Vorstoss brachte jedoch einige Punkte hervor, welche immer wieder im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik auftauchen.
Eine der Diskussionen betrifft wissenschaftliche Fakten. Bereits das Wort ‚Fakten‘ deutet auf eine Gewissheit und Bestimmtheit hin. Jedoch sind sich auch Wissenschaftler_innen oft nicht einig. Diese Uneinigkeit ist ein Wesenszug wissenschaftlicher Tätigkeit. Ähnlich wie in der Politik gibt es also auch in der Wissenschaft verschiedene Ansichten, Meinungen und Blickwinkel. Das könne zu einer zusätzlichen Verwirrung führen, hört man oft. Gerade das Corona-Virus und seine Auswirkungen werden noch nicht lange untersucht. Speziell also in diesem Fall herrscht eine grosse Unsicherheit – nicht nur in Bezug auf die Wissenschaft und die Politik, sondern in allen Lebensbereichen.
Wie soll also der Einfluss der Wissenschaft in der politischen Landschaft beurteilt werden? Und vor allem, wie können Bürger_innen mit wissenschaftlichen Inputs umgehen? Eine grosse Rolle spielen dabei auch die Medien, welche einerseits eine Vielfalt an Meinungen präsentieren, aber andererseits auch für Klarheit sorgen sollen.
Die Corona-Task Force in der Öffentlichkeit
Der Schweizer Corona-Task Force gehören (Stand März 2021) rund 70 Expert_innen aus unterschiedlichsten Wissenschaftszweigen an. Es ist klar, dass da die Meinungen auseinander gehen – wie das auch beispielsweise im Parlament der Fall ist. Die Task Force hat die Aufgabe, den Politiker_innen bei der Bewältigung der Coronakrise mit den neuesten wissenschaftlichen Informationen zur Seite zu stehen. Gerade aber zu Beginn der Pandemie waren die Rollen bzgl. der Öffentlichkeitsarbeit zwischen Politik und Wissenschaft jedoch noch ungeklärt, da wir uns in einer Situation befanden, auf die sich niemand richtig einstellen konnte. Daraus resultierte ein teils ‘chaotisch’ wirkender Informationsfluss. Viele Wissenschaftler_innen richteten sich dann beispielsweise auch öfter via Plattformen wie Twitter an die Öffentlichkeit.
Gerade diese öffentlichen Aussagen führten oft zu Diskussionen: Stellt es die Glaubwürdigkeit von Politiker_innen infrage, wenn die Task Force nach den Entscheidungen öffentlich kundtut, dass sie anders gehandelt hätte? Oder führt es zu einer zusätzlichen Verwirrung in der Bevölkerung, wenn ständig neue, vom Bund abweichende Aussagen zum Umgang mit dem Coronavirus veröffentlicht werden? Laut einigen Politiker_innen schon.
Politiker_innen, welche die Rolle der Task Force kritisch sehen, meinen, das Mandat der Task Force beinhalte eine beratende Funktion. Im Namen dieses amtlichen Beratungsgremiums sollen also keine öffentlichen Aussagen gemacht werden. Das forderte auch eine Mehrheit der Wirtschaftskommission des Nationalrats. Laut den Vertretenden dieser Meinung, müsse man bedenken, dass Wissenschaftler_innen weder politisch noch medientechnisch ausgebildet seien. Es könne also schwierig sein, die richtigen Informationen auch richtig wiederzugeben.
Ist es die Aufgabe der Politik, richtig mit der Wissenschaft in der Öffentlichkeit umzugehen?
Laut Caspar Hirschi, Historiker der Universität St. Gallen, sei dies der Fall. Hirschi, welcher seit Jahren über die Rolle von Expert_innen in der Politik forscht, nahm an der Diskussion im Forum vom 4. April 2021 auf SRF 1 dazu Stellung.
Die Unsicherheit zu Beginn der Pandemie führte laut ihm zu einer eher unglücklichen Ausgangslage. Es herrschten ungeklärte Bedingungen – für die Politiker_innen und die Wissenschaftler_innen. Was laut Caspar Hirschi jedoch vor allem ein Problem darstelle, sei, dass auch während eines ganzen Jahres die Politik keinen Weg gefunden habe, korrekt und souverän mit der Wissenschaft umzugehen.
Die beratende Funktion der Task Force und die Vielfalt der Meinungen der Wissenschaftler_innen führe dazu, dass sich das BAG auch mal gegen Inputs stellt und anders entscheidet. Das sei für Hirschi nicht der springende Punkt. Er habe sich von der Politik gewünscht, dass man die Fähigkeit habe, sich zu den Entscheidungen zu äussern und auch zu argumentieren wieso in diese und nicht in eine andere Richtung entschieden wurde. Das Ziel sollte nicht sein, Wissenschaftler_innen ‘zum Schweigen zu bringen’, sondern vielmehr auf den Dialog einzugehen und aufzuzeigen, wie mit den Inputs vonseiten Wissenschaft in der Politik umgegangen wurde. Diese positive Handhabung habe in der Schweiz jedoch bis heute zu wenig stattgefunden, so Caspar Hirschi.
Spannungsfeld Wissenschaft und Politik
Auch neben der aktuellen Pandemie-Situation gibt es etliche Berührungspunkte zwischen der Politik und der Wissenschaft. Einerseits sind objektive wissenschaftliche Fakten je nach Thema wichtig für die Meinungsbildung des Stimmvolkes. Andererseits werden diese auch oft zusammenhangslos von Politiker_innen verwendet um gewisse Argumente zu stützen, was plakativ wirken kann. Denn: Je nach Fall kann es kritisch sein, Erkenntnisse aus der Wissenschaft ohne Einbettung in einen Gesamtzusammenhang zu verwenden.
Gerade wenn es um die Einbettung wissenschaftlicher Erkenntnisse geht, spielen klassische und soziale Medien eine wichtige Rolle. Die klassischen Medien wie Zeitungen, Radio oder Fernsehen haben die Aufgabe, ihren Nutzer_innen eine Vielfalt an Meinungen zu präsentieren. Dies beinhaltet unter anderem auch die Präsentation der Meinungen verschiedenster Expert_innen aus der Wissenschaft. Es ist essentiell, dass die Bevölkerung über die Medien an Informationen gelangt. Gleichzeitig kann eine zu grosse Vielfalt an Informationen auch überfordernd wirken. Ausserdem ist eine korrekte Erklärung und Einbettung auch für geschulte Journalist_innen eine immer grössere Herausforderung. Nicht zuletzt führen der steigende publizistische Druck und knappe Ressourcen oftmals zu einer weniger reflektierten Auseinandersetzung von Journalist_innen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Die sozialen Medien andererseits bieten praktisch ungefilterte Informationen direkt von der Quelle. Gerade bei wissenschaftlichen Beiträgen kann dies für Leser_innen hilfreich sein – insbesondere, wenn sie visuell aufbereitet werden. Die Informationen werden von den Autor_innen selten ohne Kontext publiziert. Wer sich also die Zeit nimmt, kann dadurch einen mehr oder weniger klaren Blick in die Fakten werfen. Nichtsdestotrotz bleibt zu beachten, dass Social Media gerade kontroverse Themen, welche viele Reaktionen hervorrufen, durch ihre Algorithmen zusätzlich pushen. Ausserdem kann es auch bei wissenschaftlichen Inhalten je nach Quelle schwierig sein, die Richtigkeit herauszulesen – speziell, wenn man selbst nicht vom Fach ist.
Einordnen und hinterfragen
Die Diskussion rund um die Rolle der Wissenschaft in der Politik zeigt also mehrere Punkte auf. Speziell bei Themen wie der Corona-Pandemie – bei deren Bewältigung die Politik auf Erkenntnisse aus der Wissenschaft angewiesen ist – ist es zentral, an wissenschaftliche Standpunkte zu kommen. Für die Schweizer Bevölkerung ist es aber auch generell wichtig, alle notwendigen Informationen zu erhalten, welche sie für die Meinungsbildung brauchen. Hier kann die Wissenschaft Arbeit leisten, indem sie beispielsweise Daten und Fakten, aber auch Einschätzungen und Prognosen liefert.
Die oben aufgeführten Punkte zeigen jedoch auch, dass bei wissenschaftlichen Fakten eine Eigenleistung der Bevölkerung benötigt wird. Einordnen und hinterfragen – ähnlich also wie bei politischen Aussagen.
Die Schweizer COVID-19 Task Force erhält also keinen sogenannten «Maulkorb». Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik wird nichtsdestotrotz weiter ein Thema bleiben, welches von beiden Seiten einen Aufwand braucht, damit die Synergien effizient genutzt werden können und wir als Bevölkerung die richtigen Informationen erhalten, um politische Entscheidungen nachvollziehen zu können.