4. Juni 2020

Digitalisierung: Fluch oder Segen für die Umwelt?

Die digitale Transformation ist ein Megatrend, der sich seit einigen Jahren auf alle Lebensbereiche unserer Gesellschaft auswirkt. Sie bringt gerade in Bezug auf die Umwelt nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile mit sich. Forschende auf dem Gebiet warnen sogar davor, dass die Digitalisierung auf lange Sicht der Umwelt klar schaden könnte. Wie dieser Problematik in der Schweiz begegnet werden soll und unter welchen Umständen positive Auswirkungen fruchtbar gemacht und negative abgefedert werden könnten – eine kürzlich publizierte Studie der Berner Fachhochschule befasst sich mit diesen Fragen.

In Zusammenarbeit mit Flurina Wäspi
Gerade in Zeiten von COVID-19, die zu radikal veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen geführt haben, sind viele Menschen dankbar über die Vorteile, die die Digitalisierung mit sich bringt. Das Jahr 2020 wird bereits heute als «das Jahr der Digitalisierung» bezeichnet. Die Digitalisierung hat jedoch schon lange vor COVID-19 begonnen, unser Leben und unsere Gesellschaft zu verändern.

Die Vorteile der Digitalisierung werden in der Schweiz seit Jahren im alltäglichen Leben genutzt – sei es im Privaten, Gesellschaftlichen, oder in der Wirtschaft. Schulen benutzen iPads, Firmen arbeiten online, und Jugendliche verbringen ihre Freizeit gerne nicht nur mit «Räuber-und-Poli», sondern auch vernetzt auf TikTok und Instagram. Mit ein paar Mausklicks findet man heutzutage eine Vielzahl an nützlichen News und Informationen. Wo Chancen sind, finden sich jedoch auch oft Risiken.

Eher selten wird dabei thematisiert, dass die Auswirkungen der Digitalisierung langfristig ein Risiko für die Umwelt darstellen könnten. Denn bis heute ruhen hohe Erwartungen auf den Chancen der Digitalisierung, die Umwelt zu entlasten. So erhofft man sich beispielsweise, durch die bessere Datenerfassung und -analyse in Bezug auf klimatische Veränderungen neue Erkenntnisse zur Erderwärmung zu gewinnen. Oder aber man verspricht sich eine Entlastung des Strassenverkehrs, indem dank Home-Office nicht jede_r täglich pendeln muss. Solche und viele andere Chancen der Digitalisierung bestehen weiterhin, müssen jedoch – unter Abwägung der dabei entstehenden Risiken – ermöglicht und unterstützt werden.

Eine Studie soll Klarheit schaffen

Angesichts des Klimawandels und der globalen Erwärmung – sowie der damit verbundenen negativen Folgen für Mensch und Umwelt – ist es entscheidend, die Auswirkungen der Digitalisierung auf Umwelt und Klima zu hinterfragen. Ohne dieses kritische Hinterfragen kann die Digitalisierung nicht so gestaltet werden, dass die Umweltziele, die sich die Schweiz mit der Agenda 2030 gesetzt hat, tatsächlich erreicht werden können. Die 17 Ziele, welche von allen UNO-Mitgliedsstaaten innerhalb einer Dekade erreicht werden sollen, dienen der nachhaltigen Entwicklung von Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft.
Vor diesem Hintergrund hat das Bundesamt für Umwelt (BAFU) vor zwei Jahren bei der Berner Fachhochschule für Wirtschaft (BFH) eine Studie in Auftrag gegeben, welche die Chancen, Risiken, und den allfälligen Handlungsbedarf bezüglich der Entwicklung der Digitalisierung aufzeigt.

Was sagt die Forschung?

Gemäss der Forschungsliteratur auf dem Gebiet lassen sich bei der Untersuchung der Auswirkungen der Digitalisierung auf die Umwelt verschiedene Trends beobachten.
Einerseits sind Computer und Sensoren in unserer Gesellschaft zunehmend präsent. Dank des Einsatzes von Informations- und Kommunikationstechnik können mehr Daten gesammelt, Systeme intelligenter gesteuert, neue Erkenntnisse gewonnen und neue Arten von Dienstleistungen angeboten werden. Zudem haben die Entmaterialisierung von Wertschöpfungsprozessen und die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen das Potenzial, die Ökobilanz vieler Produkte und Dienstleistungen zu verbessern.

Auf der anderen Seite können neue Technologien mit einem hohen Energieverbrauch verbunden sein. Effizienzsteigerungen führen ausserdem häufig zu einer erhöhten Nachfrage, was wiederum zu einem Anstieg des Rohstoff- und Energieverbrauchs, der Emissionen und mehr Elektronikschrott verursacht. Diese Rückkopplungseffekte werden Rebound-Effekte genannt. Studien zufolge hat sich die Digitalisierung unter Berücksichtigung von Rebound-Effekten bisher negativ auf die Umwelt ausgewirkt.

Weiter wirkt sich die Digitalisierung beschleunigend auf unser Wirtschaftssystem aus, was durchaus positive Faktoren in Bezug auf beispielsweise die Finanzpolitik mit sich bringt. Jedoch ist das Wirtschaftswachstum seit mehreren Jahrzehnten durch einen übermässigen Verbrauch natürlicher Ressourcen gekennzeichnet – was sich längerfristig negativ auf die Umwelt auswirkt. Denn dadurch verschärft sich die Ressourcensituation weiter, und überregionale oder globale Ökosysteme drohen zu kippen.

Basierend auf den Erkenntnissen über Chancen und Risiken, die in der Forschungsliteratur aufgezeigt werden, ging die Studie der BFH dem Forschungsinteresse nach. Dabei fokussierte sich die Studie auf die Schweiz, und formulierte aufgrund der Ergebnisse einen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handlungsbedarf. Die Autor_innen führten ausführliche Experteninterviews sowie eine gross-angelegte Online-Befragung durch. Die befragten Personen der Online-Umfrage haben in ihrem beruflichen oder privaten Leben mit Digitalisierung und/oder Umweltfragen zu tun.
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden die 18 Experteninterviews qualitativ ausgewertet. Die Antworten der rund 800 Personen, die an der Onlinebefragung teilgenommen hatten, wurden quantitativ analysiert.

Was sagt die Empirie?

Die Studie der BFH, welche in diesem Jahr fertiggestellt wurde, zeigt, dass der momentane Zustand der Umwelt den Befragten generell Sorgen bereitet. Über 80 Prozent bewerten folgende vier Probleme als die grössten Gefahren für die Umwelt: die vom Menschen verursachte globale Erwärmung, den übermässigen Verbrauch endlicher Ressourcen, die Bedrohung der Biodiversität und die Umweltverschmutzung durch Kunststoffe.
Dass diese Probleme noch nicht gelöst sind, liegt nach Ansicht der Befragten vor allem an der mangelnden Bereitschaft, auf die Annehmlichkeiten des täglichen Lebens zu verzichten. Ausserdem identifizierten die Teilnehmenden der Studie mangelhafte Rahmenbedingungen im politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Bereich als Grund für die fehlende Lösung für Umweltprobleme. Zu guter Letzt sehen die Befragten einen Mangel an internationaler Zusammenarbeit, die zur Lösung der drängenden Umweltprobleme erforderlich wäre.

Wenn es jedoch um die Beurteilung der Auswirkungen der Digitalisierung auf die Umwelt geht, sind die meisten Befragten wesentlich optimistischer als die in der Studie zitierten Forscher. Die Mehrheit der Teilnehmenden ist der Meinung, dass die Vorteile der digitalen Transformation alles in allem die Nachteile überwiegen.
Werden diese Ergebnisse genauer betrachtet, kann festgestellt werden, dass die kritischsten Stimmen sowohl in der qualitativen als auch in der quantitativen Befragung tendenziell von Personen mit einem wissenschaftlichen Hintergrund kommen, die die Auswirkungen unerwünschter Rebound-Effekte betonen.

Die grössten Risiken sehen die Befragten im Zusammenhang mit der Produktion und der Entsorgung von Technik sowie den zunehmenden Mengen an wertvollen Ressourcen, die dabei verbraucht und zerstört werden, da das Recycling von Elektroschrott für viele Länder eine grosse Herausforderung darstellt. Zudem identifizieren die Befragten weitere Gefahren in der Höhe des Energieverbrauchs, der mit der Nutzung digitaler Technologien verbunden ist, und ganz allgemein in der zunehmenden Tendenz zu einer Wegwerfgesellschaft.

Auf der positiven Seite betonen die Befragten die Chancen, die die Digitalisierung im Hinblick auf die Dezentralisierung der Energieerzeugung und eine effizientere Energienutzung bietet. Hinzu kommt die Einsparung von Materialien und ein nutzbringender Gebrauch von Schadstoffen (z.B. das Düngen in der Landwirtschaft durch den Einsatz von Drohnen).

Die Digitalisierung hat natürlich auch Auswirkungen auf die Überwachung der Umwelt. In diesem Bereich sehen die Befragten die positiven Auswirkungen der Digitalisierung vor allem in einer effizienteren Datenerfassung und neuen Möglichkeiten der Datenverarbeitung. Auf der anderen Seite ergeben sich potentielle Datenschutzprobleme, wodurch einige Befragte den Machtmissbrauch durch Stellen, die im Besitz von Umweltdaten sind, befürchten.

Wie sehen mögliche Massnahmen aus und wer soll handeln? 


Wenn es darum geht, Massnahmen zu ergreifen, um den durch die Digitalisierung entstehenden Umweltrisiken vorzubeugen oder ihnen entgegenzuwirken, sind sich die Befragten über die zu ergreifenden Massnahmen sehr einig.
Etwa 90 Prozent aller Befragten empfehlen nachdrücklich, Massnahmen zur Förderung von Produkten mit einem kleineren ökologischen Fussabdruck und zur Schaffung von Anreizen zur Verlängerung der Lebensdauer elektronischer Produkte zu ergreifen, um den E-Müll zu minimieren und wertvolle Ressourcen zu sparen. Darüber hinaus sollen Anreize für einen Lebensstil geschaffen werden, der den umweltschädlichen Gesamtverbrauch reduziert.

Um mit weniger Ressourcen mehr Wert zu schaffen, sollten digitale Technologien zur Effizienzsteigerung gefördert werden, insbesondere im Bereich der Energieeffizienz. Ausserdem soll die Sharing Economy – also eine geteilte Nutzung von Ressourcen zwischen verschiedenen Akteuren (z.B. Mobility) – gefördert werden. Zusätzlich könnten Investitionen in die digitale Infrastruktur getätigt werden, um umweltfreundliche Alternativen zu ermöglichen (z.B. Home-Office oder Videokonferenzen anstelle von grösseren Reisen zu persönlichen Treffen). Und nicht zuletzt fordern die Befragten mehr Transparenz, insbesondere was die Rückverfolgbarkeit der Komponenten und die Herkunft elektronischer Produkte betrifft.

Um die Risiken im Bereich der Umweltüberwachung zu minimieren, sollte nach Ansicht der Befragten der Datenschutz und die Selbstbestimmung über die Daten verbessert werden.
Um umgekehrt die Möglichkeiten im Bereich der Umweltüberwachung besser zu nutzen, gibt die Mehrheit der Befragten an, dass der Austausch von Umweltdaten zwischen qualifizierten Akteuren gefördert werden solle.

Die von der Studie aufgezeigten Massnahmen implizieren politischen Handlungsbedarf: Der Bund ist dazu aufgerufen, in allen Handlungsfeldern als treibende Kraft zu wirken. Denn wenn es darum geht, Anreize zur Reduktion des umweltschädlichen Konsums zu schaffen, ist in erster Linie der Staat in der Pflicht.
Je nach Bereich kommt aber auch der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft eine führende Rolle zu. Zudem ist eine Zusammenarbeit zwischen staatlichen Akteuren und dem Privatsektor erforderlich. Vom Privatsektor wird beispielsweise erwartet, dass er eine proaktive Rolle bei der Verbesserung des ökologischen Gleichgewichts von Produkten spielt  – insbesondere bei der Förderung der Reparatur- und Recyclingfreundlichkeit von Produkten mit elektronischen Komponenten.


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